Schüler suchen ein verschwundenes Dorf

Nach Exkursionen ins jüdische Wien und zum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg stand am 6. Mai 2019 ganz in der Nähe eine gemeinsame Wanderung über die österreichisch tschechische Grenze ins Sudetenland auf dem Programm. Ziel war Multerberg, ein verschwundenes böhmisches Dorf nahe Haslach an der Mühl, unmittelbar auf der tschechischen Seite des ehedem eisernen Vorhangs.

Nikolaus Stelzer, Geschichtslehrer und Schulleiter des Gymnasiums Rohrbach, hatte die Wanderung bestens organisiert und mit Otto Ruml einen ortsansässigen Heimatkundler gewonnen, der die insgesamt 56 Schüler und neun Lehrkräfte aus drei Ländern von der Helfenberger Hütte aus über die Grenze nach Multerberg führte, wo seine Großmutter aufgewachsen war – oder vielmehr an den Ort, an dem dieses Dorf einst gestanden hatte. Jahrzehntelang unerreichbar, trennt der Scheidbach die beiden Länder heute so unscheinbar, dass einige Schüler gar nicht bemerkt hatten, dass sie sich nicht mehr in Österreich befanden.

Bei eisigem Wind waren auf den ersten Blick nur Wiesen und Wälder zu sehen, wo einmal stolze Gehöfte gewesen waren. Mit alten Ortsansichten und detailreichen Schilderungen machte Otto Ruml die damalige Zeit und das Leben im Dorf für die Schüler wieder greifbar. Bei genauerem Hinsehen konnten sie auch selbst noch zwischen den Bäumen die Reste ehemaliger Stallungen entdecken. Ein ganz besonderer Moment entstand, als zwei Schüler gerade die Anordung zur Aussiedlung der deutschen Bevölkerung nach dem zweiten Weltkrieg in der tschechischen und der deutschen Fassung vorgelesen hatten: Plötzlich wirbelten Unmengen weißer Flocken durch die Luft. Nein, es waren keine Blütenblätter, es war Schnee im Mai. Danach ging es wieder zurück nach Österreich.

Frisch gestärkt und aufgewärmt traten die drei Schülergruppen nach einem gemeinsamen Mittagessen in Rohrbach wieder die Heimreise an.

Artikel in der PNP vom 3.6.2019